ERKRANKUNGEN

Wie schlimm ist Schilddrüsenkrebs? – 20 Fragen von Patienten und Antworten von Fachärzten

Schilddrüsenkrebs ist eine seltene Erkrankung, bei der in der Regel sehr gute Heilungschancen bestehen. Hier beantworten Fachärzte Patientenfragen zum Thema Schilddrüsenkrebs. Darunter fallen grundsätzliche Themen zu Therapie und Vorbereitung, sowie Nachsorge und Kontrolluntersuchungen. Zudem beantworten die Experten Fragen zur Hormontherapie und zu Faktoren, die nach einer Schilddrüsenentfernung zu beachten sind.

    Frage 1: Wie schlimm ist Schilddrüsenkrebs?

    Bei differenziertem Schilddrüsenkrebs (papilläre und follikuläre Karzinome) bestehen in der Regel sehr gute Heilungschancen. Dies gilt aber nur bei konsequenter Therapie und Nachsorge. (1) Zur optimalen Therapie gehört in fast allen Fällen die Operation und nachfolgend das Schlucken einer Kapsel mit radioaktivem Jod. Das radioaktive Jod beseitigt die kleinsten übriggebliebenen Schilddrüsenreste. Der Fachbegriff hierfür lautet „Radiojodtherapie“. (1) Durch die Kombination beider Behandlungsschritte können Sie diese Erkrankung schnell und sicher hinter sich lassen, teilweise innerhalb von nur zwei Wochen. Nach der erfolgreichen Schilddrüsenkrebstherapie ist ein normales Leben möglich.  Im Anschluss ist die Einnahme von Schilddrüsenhormonen (meist Levothyroxin, T4) erforderlich.

    Langzeitbeobachtungen zeigen, dass die Lebenserwartung für den überwiegenden Anteil der Patienten nicht eingeschränkt ist. Leider gilt diese Feststellung nicht für alle Patienten. Unter anderem spielt das Patientenalter eine Rolle: Jüngere Patienten haben statistisch eine bessere Prognose als ältere Patienten. (1) Weitere Kriterien sind die Tumorgröße zum Zeitpunkt der Diagnosefeststellung sowie das Fehlen oder der Nachweis von Metastasen in den Halslymphknoten oder in anderen Organen. Metastasen in den Halslymphknoten lassen sich meist durch eine Operation entfernen. Mitunter ist hierfür eine separate Operation notwendig. Selbst bei Metastasen in der Lunge ist eine normale Lebenserwartung möglich: Zeigen solche Lungenherde eine Jodspeicherung, können immerhin 80 Prozent der betroffenen Patienten geheilt werden. Allerdings erhöht sich die Anzahl der erforderlichen Radiojodtherapien. 

    Frage 2: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Schilddrüsenkrebs und anderen Krebsarten?

    Patienten mit einem papillären oder follikulären Schilddrüsenkarzinom sind nicht anfälliger für andere Krebsarten. Auch die Standardtherapie bei Schilddrüsenkrebs (Radiojod-Ablation) ist nicht krebsauslösend. (1) Mit einer solchen schwerwiegenden Nebenwirkung ist nur nach mehrfacher Anwendung hochdosierter Radiojodtherapien in seltenen Fällen zu rechnen. Im Falle mehrfacher Radiojodtherapie liegt die Risikosteigerung im Vergleich zur Normalbevölkerung in der Größenordnung von etwa einem Prozent über die gesamte Lebensspanne. Solche Behandlungskonzepte kommen aber nur bei Patienten mit Fernmetastasen zur Anwendung. Sicherheitshalber sollten alle Patienten mit einem Schilddrüsenkrebs die üblichen, altersbezogenen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, ein intensiveres Tumor-Screening wird nicht empfohlen.

    Frage 3: Wird Schilddrüsenkrebs vererbt und kann radioaktives Jod Auswirkungen auf die Gesundheit der nächsten Generation haben?

    Etwa 99 Prozent der differenzierten Schilddrüsenkarzinome sind nicht erblich. Wenn allerdings drei oder mehr Familienmitglieder an einem papillären Schilddrüsenkrebs erkrankt sind, spricht man von einer familiären Häufung. Es gibt aber keinen gesicherten Erbgang und derzeit keinen Gentest zur Kontrolle. Beim medullären Schilddrüsenkarzinom sind jedoch etwa 25 Prozent erblich und ein Gentest verschafft Klarheit.

    Da nach der Diagnose Schilddrüsenkrebs die meisten Patienten mit radioaktivem Jod behandeln lassen, ist die Auswirkung der Radioaktivität auf die Gesundheit der nächsten Generation umfangreich untersucht. Die beruhigende Nachricht: Selbst nach mehrfacher Anwendung von hochdosierten Radiojodtherapien konnten Forscher keine genetischen Defekte an den Nachkommen feststellen. Aber eine konsequente Empfängnisverhütung über einen begrenzten Zeitraum ist Pflicht. Nach einer Radiojodtherapie sollten Frauen einen Abstand von zwölf Monaten bis zum Eintritt einer Schwangerschaft wahren. Trat eine Schwangerschaft bereits sechs bis zwölf Monate nach einer Radiojodtherapie ein, wurden Frühgeburten und Fehlgeburten etwas häufiger beobachtet. Für männliche Patienten gilt: Aufgrund des Entwicklungszyklus einer Samenzelle sollte die Zeugung in den ersten vier Monaten nach einer Radiojodtherapie unterbleiben. Wenn mehrere Radiojodtherapien zu erwarten sind (z.B. bei Metastasen) wird zur Kryokonservierung geraten.

    Frage 4: Wie wird therapiert – brauche ich eine Chemotherapie oder Bestrahlung?

    Zunächst wird die Schilddrüse operativ entfernt. Dabei ist die vollständige Schilddrüsenentfernung (Thyreoidektomie) das Standardverfahren. Für kleinere Tumore gilt: Bei fehlendem Verdacht auf das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen ist derzeit unklar, ob eine prophylaktische Lymphknotenentfernung vorteilhaft ist. Im Einzelfall wird daher zwischen dem erkrankungsbedingten Risiko und dem Operationsrisiko (Lähmung des Stimmbandnervs, Mangel an Nebenschilddrüsenhormon) abgewogen.

    Der nächste Therapieschritt besteht aus einer nuklearmedizinischen Behandlung. Trotz der operativen Entfernung bleiben aufgrund der komplizierten Lage der Schilddrüse fast immer kleine Gewebereste der Schilddrüse im Hals zurück. Da sich auch hier noch einzelne Krebszellen verbergen können, empfiehlt sich im Anschluss an eine Operation fast immer eine ablative Radiojodtherapie (Zerstörung der verbliebenen Schilddrüsenzellen durch radioaktives Jod), die ein Nuklearmediziner durchführt. Anders als bei anderen Krebsarten wird in der Regel keine Chemotherapie eingesetzt, die den gesamten Körper angreift, sondern mit der ablativen Radiojodtherapie ganz gezielt nur auf das Schilddrüsenrestgewebe und auf mögliche Metastasen eingewirkt.

    Ein weiterer Therapieschritt besteht aus der Einnahme des Schilddrüsenhormons Levothyroxin in Tablettenform. Hierdurch wird zum einen das fehlende Schilddrüsenhormon ersetzt. Zum anderen sind differenzierte Schilddrüsenkarzinome hormonabhängige Tumore. Es besteht die Möglichkeit das Wachstum der Krebszellen durch eine grenzwertig hohe Dosierung der Schilddrüsen-Medikation zu verhindern. (1)

    INFO: Mikrokarzinome

    Beinahe 50 Prozent aller papillären Schilddrüsenkarzinome haben einen Durchmesser von bis zu 1 cm. (1)  Sie sind auch als „Mikrokarzinome“ bekannt, sofern keine weiteren Tumornester in der Schilddrüse und keine Metastasen vorliegen. Bei Mikrokarzinomen ist ein verringerter Therapieumfang möglich und die Radiojodtherapie ist keine Pflicht. Mikrokarzinome werden meist zufällig entdeckt: diagnostiziert der Arzt zunächst eine Struma (Kropf), kommt es zu einer Schilddrüsenoperation. Bei der Untersuchung des hierbei entnommenen Gewebes entdeckt der Pathologe in einigen Fällen Mikrokarzinome.

    Frage 5: Wie finde ich die richtigen Ärzte und Kliniken?

    Der erste Therapieschritt besteht aus der operativen Behandlung. Der Weg in ein operatives Schilddrüsenzentrum lohnt sich. Die lokalen Operationsrisiken, nämlich die Lähmung des Stimmbandnervs und der Verlust der Nebenschilddrüsen (mit einer lebenslangen Störung des Kalziumhaushalts) sind stark von der Erfahrung und dem Geschick des Operateurs abhängig. Einen Anhaltspunkt für eine hohe Expertise in der Schilddrüsenchirurgie bietet die Zahl der Schilddrüsenoperationen pro Jahr in einer chirurgischen Abteilung. Angaben zu diesen und anderen Zahlen sind in den Qualitätsberichten der Krankenhäuser zu finden. Diese sind heutzutage Pflicht und im Internet verfügbar.

    Für eine optimale Weiterbehandlung nach der Operation ist für die meisten Patienten eine direkte Schilddrüsenhormongabe nötig und eine frühzeitige Abstimmung zwischen Chirurgen, Nuklearmediziner und Hausarzt hilfreich. Daher kommt an der Schnittstelle zwischen Operation und der erstmaligen nuklearmedizinischen Therapie dem Hausarzt eine wichtige beratende Rolle zu. Zwei Aspekte sind hier zu berücksichtigen:

    • Das Zeitfenster zwischen Operation und der Entscheidung über eine Radiojod-Behandlung sollte nicht zu lang sein.
    • Es ist wichtig, die Entscheidung über Verzicht oder Einleitung einer Schilddrüsenhormon-Medikation möglichst bald zu treffen. Die meisten Kliniken bieten die Radiojod-Ablation unter rekombinantem humanem TSH (rhTSH) an. Das bedeutet, es besteht die Möglichkeit den TSH-Wert durch die Gabe von rhTSH zu erhöhen. Das vermeidet die Begleiterscheinungen einer Schilddrüsenunterfunktion. Somit muss der Patient vor der Radiojod-Therapie nicht auf Schilddrüsenhormone verzichten.

     

    Frage 6: Wie wird die Radiojodtherapie vorbereitet?

    Die ablative Radiojodtherapie funktioniert durch die Aufnahme des Radiojods in die verbliebenen Schilddrüsenzellen. Dies geschieht über Jodpumpen in der Zellwand der Schilddrüsenzellen. Das Hormon TSH (= Thyreoidea-stimulierendes Hormon) steuert die Aktivität dieser Jodpumpen. Normalerweise wird es in der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) produziert. Im Falle einer Schilddrüsenunterfunktion ist die Produktion des Hormons TSH massiv gesteigert. Über diesen Mechanismus nehmen die Schilddrüsenreste in der Unterfunktion möglichst viel radioaktives Jod auf.

    Aus diesem Wirkprinzip ergibt sich bei der Radiojodtherapie im Falle der Vorbereitung durch Hormonentzug folgende belastende Konsequenz: Dem Patienten wird nach der operativen Entfernung der Schilddrüse die Schilddrüsenhormon-Medikation vorenthalten, und als Folge einer starken Schilddrüsenunterfunktion steigt der TSH-Spiegel. Der Zeitraum ohne eine Schilddrüsenhormon-Medikation liegt nach einer (nahezu) vollständigen Schilddrüsenentfernung bei zwei bis drei Wochen bzw. – wenn größere Schilddrüsenreste nach der Operation verblieben sind –bis zu vier Wochen. Eine Schilddrüsenunterfunktion kann zu einer verringerten Nierenfunktion, Herz-Kreislauf- Beschwerden,  depressioven Verstimmungen sowie Gedächtnis- und Konzentrationsminderungen führen. Das Reaktionsvermögen ist durch die Unterfunktion oft verlangsamt, so dass das Führen eines Kraftfahrzeugs bzw. das Arbeiten mit gefahrvollen Maschinen vorübergehend unterbleiben sollte.

    Damit die Patienten nicht über Wochen unter den zum Teil sehr starken Symptomen des Schilddrüsenhormonentzugs leiden, kann der Einsatz von rhTSH (rekombinantes humanes TSH) hilfreich sein.  Der TSH-Spiegel wird durch die Gabe von rhTSH kurzfristig schnell erhöht. Die Schilddrüsenhormon-Medikation wird entweder durchgehend eingenommen oder nur kurzzeitig, für wenige Tage, ausgesetzt. Dies besprechen Patienten mit dem behandelnden Nuklearmediziner.

    Je nach Vorbereitungsart (mit oder ohne rhTSH) sollten Sie vor der Ablation zwei bis drei Wochen lang möglichst wenig Jod durch Lebensmittel zu sich nehmen. Danach können Sie wieder normal essen. Über einen Zeitraum von vier bis acht Wochen vor der Ablation dürfen keine stark jodhaltigen Medikamente (z.B. entsprechende Röntgenkontrastmittel, Desinfektionsmittel, Augentropfen, Jodid- Medikation) oder künstliche Jodzusätze in Multivitamin- und Spurenelementkombinationen verabreicht bzw. eingenommen werden. Amiodaron (ein Herzmedikament, welches bei Herzrhythmusstörungen eingesetzt wird) kann aufgrund des sehr hohen Jodgehaltes zu einer Jodüberladung des Körpers für mehr als ein Jahr führen. Sollte vor einer Schilddrüsenoperation die Verabreichung eines jodhaltiges Röntgenkontrastmittels in die Vene unumgänglich sein, muss der Nuklearmediziner dies unbedingt wissen. In Zweifelsfällen lässt sich der Jod-Wert im Urin bestimmen. 

     Frage 7: Was spricht für den Einsatz von rhTSH?

    Mit der Radiojodablation unter rhTSH vermeidet man die möglichen Begleiterscheinungen der Schilddrüsenunterfunktion. Die Bestrahlung des Körpers wird verringert, da sich das Jod-131 unter Aufrechterhaltung einer normalen Nierenfunktion unter rhTSH schneller auswäscht. Über mögliche Nebenwirkungen und die Anwendbarkeit von rhTSH informiert Sie gerne Ihr betreuender Arzt.

    Die Vorbereitung auf eine Radiojod-Ablation muss stets in Absprache mit der weiterbehandelnden Klinik für Nuklearmedizin erfolgen. Der Einsatz von rhTSH ist bei allen Patienten ohne bekannte Metastasen möglich. Gerade für Patienten mit anderen Begleiterkrankungen ist der Einsatz von rhTSH eine schonende und dennoch effektive Behandlung. Beispielsweise bei Erkrankungen von Herz oder Lunge, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Erkrankungen des Nervensystems oder der Psyche, sowie bei einer beidseitigen Lähmung des Stimmbandnervs ist ein mehrwöchiger Verzicht auf eine Schilddrüsenhormon-Medikation (mit der Konsequenz einer Schilddrüsenunterfunktion) zu vermeiden. Auch medizinisch-organisatorische Umstände wie eine schnelle Therapie innerhalb von zehn bis 14 Tagen sprechen für eine Radiojod-Ablation unter rhTSH. Auch ist durch Vermeiden der Unterfunktion weiterhin das Autofahren bzw. das Ausüben von Tätigkeiten, die hohe Aufmerksamkeit erfordern, nicht eingeschränkt. Ferner sind mögliche Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und der Schilddrüsenfunktion zu beachten, da eine Unterfunktion die Wirkung einzelner Medikamente verstärkt oder abschwächt .

    Frage 8: Welche Nebenwirkungen gibt es bei der ablativen Radiojodtherapie?

    Für die ablative Radiojodtherapie (kurz: Ablation) verabreicht der Arzt das radioaktive Element Jod-131 als Kapsel. Jod-131 ist ein Beta- und Gamma-Strahler. Beta-Strahlen sind sehr energiereich, dringen aber nicht tief in das umliegende Gewebe ein. So können Nuklearmediziner mit relativ hohen Dosen den Krankheitsherd bekämpfen, ohne das umliegende Gewebe in Mitleidenschaft zu ziehen. Nach der Einnahme müssen die Patienten für einige Tage in Quarantäne auf der nuklearmedizinischen Station bleiben, um andere Personen vor der radioaktiven Strahlung zu schützen und um zu verhindern, dass das ausgeschiedene Radiojod in die Umwelt gelangt. Dies ist in Deutschland nach der Strahlenschutzverordnung verpflichtend.

    Als akute Nebenwirkungen können im Operationsgebiet infolge der Jodaufnahme in verbliebenen Schilddrüsenresten Schmerzen entstehen, ferner Schwellungen der Speicheldrüsen sowie Magenbeschwerden auftreten. Andere Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, eingeschränkte Belastbarkeit oder Stimmungsschwankungen stehen mit einer möglichen Schilddrüsenunterfunktion in Zusammenhang. Die ausgeprägten Symptome der Schilddrüsenunterfunktion treten nach Injektion von rekombinantem humanem TSH (rhTSH) nicht auf. Ob sich später chronische Nebenwirkungen entwickeln, hängt von der Anzahl der Radiojodtherapien und der Höhe der verabreichten Jod-131-Aktivität ab.

    Im Falle wiederholter Radiojodtherapien kann es zu einer chronischen Entzündung der Speicheldrüsen kommen, der Patient verspürt eine Mundtrockenheit mit Geschmacksveränderung und hat ein erhöhtes Karies-Risiko. Patienten mit einer Mundtrockenheit sollten auf eine verstärkte Kariesprophylaxe achten. Eine mögliche Trockenheit der Tränendrüsen kann für Kontaktlinsenträger Auswirkungen haben. Bei Männern ohne eine abgeschlossene Familienplanung, bei denen mehrere Radiojodtherapien zu erwarten sind, kann das Einfrieren von Samenzellen (Kryokonservierung) eine sinnvolle Maßnahme sein. Denn durch mehrere Radiojod-Therapien kann die Fruchtbarkeit über einen gewissen Zeitraum reduziert sein.  Der Effekt ist zwar meist vorübergehend, gelegentlich jedoch permanent.

    Frage 9: Welche Rolle spielt die Nebenschilddrüse bei Schilddrüsenkrebs?

    Die Nebenschilddrüsen bestehen aus vier stecknadelkopfgroßen Knötchen, den sogenannten Epithelkörperchen. In der Regel sind diese Epithelkörperchen auf der Rückseite der Schilddrüse angeordnet. Die Nebenschilddrüse produziert andere Hormone als die Schilddrüse. Da sich in den Nebenschilddrüsen keine Schilddrüsenzellen befinden, haben sie nichts mit der Rezidivrisiko (Gefahr einer erneuten Krebsbildung) zu tun. Ziel bei der Entfernung der Schilddrüse sollte der Erhalt von mindestens zwei, besser sogar aller vier Epithelkörperchen sein – hierfür ist operatives Geschick des Chirurgen nötig. Denn die Nebenschilddrüsen sind für den Kalziumstoffwechsel von großer Bedeutung. Bei einer Unterfunktion der Nebenschilddrüse drohen zum Beispiel Muskelkrämpfe. Diese Unterfunktion kann vorübergehend oder dauerhaft sein. Eine Erholung der Nebenschilddrüsenfunktion ist bis zu einem Jahr nach der Operation möglich. Die Bestimmung des Laborwerts „Parathormon“ kann die Aussichten auf eine Erholung der Nebenschilddrüsenfunkton vorhersagen. Ausgeprägte Unterfunktionen lassen sich mit Kalzium in Kombination mit Vitamin D-Derivaten behandeln.

    Frage 10: Wie groß ist das Risiko, an einem erneuten Schilddrüsenkarzinom (Rezidiv) zu erkranken?

    Die Prognose bei differenziertem Schilddrüsenkrebs ist hinsichtlich der Überlebenschancen exzellent. Trotzdem ist beim papillären Schilddrüsenkarzinom die Rate an Rezidiven in den Halslymphknoten und am Platz der ehemaligen Schilddrüse nicht zu unterschätzen. Bei fortgeschrittenen Tumoren mit Einwachsen in die Nachbarorgane oder bei Tumoren mit ungünstiger Gewebe-Struktur muss mit einer Wiedererkrankungsrate von mehr als 10 Prozent gerechnet werden. (1) Wegen des langsamen Wachstums der zumeist wenig aggressiven Tumore können Rezidive auch Jahrzehnte nach der Erstdiagnose auftreten. Deshalb ist beim Schilddrüsenkrebs die lebenslange Nachsorge besonders wichtig. Die wichtigsten Aspekte für die erneut Betroffenen:

    • Wenn die Einschätzung, ob ein Rezidiv vorliegt, noch nicht eindeutig beantwortet werden kann (z.B. bei etwas vergrößerten Lymphknoten am Hals, die auch entzündlich bedingt sein können), ist unter Umständen eine Kontrolluntersuchung nach einem gewissen Zeitintervall gerechtfertigt.
    • Falls ein Rezidiv im Halsbereich gesichert ist, stehen mit einer erneuten Operation, der Radiojodtherapie und ggf. modernen systemischen Therapien viele Behandlungsoptionen zur Verfügung, die eine Heilung wahrscheinlich machen.

     

    Frage 11: Wie oft muss ich zu Kontrolluntersuchungen?

    Die Nachsorgeuntersuchungen finden in der ersten Zeit nach Abschluss der Primärbehandlung relativ engmaschig statt, etwa alle drei Monate. Nach fünf Jahren vergrößern sich die Zeiträume zwischen diesen Kontrolluntersuchungen, sie finden dann jährlich statt. Das ist vor allem der Fall, wenn weder Symptome noch sonstige Anzeichen für ein Wiederauftreten der Erkrankung vorliegen. (1)

    Die Untersuchungen bestehen aus einer Halssonografie, einer Messung des Thyreoglobulin-Spiegels im Blut (inklusive Messung von Thyreoglobulin-Anti-körpern) und einer Bestimmung der Schilddrüsenfunktionsparameter (TSH, fT3, fT4). Dafür ist entweder ein Nuklearmediziner, ein Endokrinologe oder ein Hausarzt zuständig. Die Aussagekraft des Thyreoglobulin-Spiegels ist bei den meisten Patienten so hoch, dass bildgebende Verfahren (außer dem Ultraschall) im weiteren Verlauf der Nachsorge nur noch bei messbarem Thyreoglobulin-Spiegel empfohlen werden.

    Frage 12: Wie funktioniert die Nachsorge über Blutwerte?

    Der in der Nachsorge des Schilddrüsenkarzinoms wohl wichtigste Blutwert ist das Tg (Thyreoglobulin). Schilddrüsenzellen oder – im Einzelfall – Schilddrüsen-ähnliche Krebszellen produzieren diesen Wert. Solange also normale Schilddrüsenzellen im Körper vorhanden sind, ist die Produktion von Thyreoglobulin ein normaler Vorgang. Thyreoglobulin ist normalerweise das Eiweiß für die Speicherung von Schilddrüsenhormonen innerhalb der Schilddrüse selbst. Erst nach erfolgreicher Ersttherapie des Schilddrüsenkrebses (Operation und Ablation) entwickelt sich Thyreoglobulin zu einem Tumormarker und der Tg-Wert sollte unter 1 ng/ml liegen bzw. gegen Null gehen. Ansonsten deutet ein messbarer und im Verlauf ansteigender Tg-Spiegel auf aktive Krebszellen hin. Somit ist das Thyreoglobulin ein sehr wichtiger Tumormarker, der leicht zu bestimmen ist.  Zusätzlich zu der Tg-Messung sollte der behandelnde Arzt immer eine Sonografie (Ultraschalluntersuchung) des Halses durchführen.

    INFO: Als Faustregel gilt

    Tg-Spiegel unterhalb der Nachweisgrenze während der Schilddrüsenhormon-Medikation bzw. niedriger als 1 ng/ml unter rhTSH sind beruhigend. Man spricht dann von einem exzellenten Therapieansprechen. Grundsätzlich ist der Verlauf des Tg-Werts über die Jahre aussagekräftiger als ein einzelner Messwert.

    Frage 13: Was machen Patienten mit Thyreoglobulin-Antikörpern?

    Manche Menschen haben Thyreoglobulin-Antikörper, so dass sich der Thyreoglobulin-Wert in der Nachsorge nicht zuverlässig bestimmen lässt. Der Nachweis solcher Thyreoglobulin-Antikörper ist ähnlich wie eine Allergie zu bewerten und steht nicht unbedingt mit der Krebsdiagnose. Eine solche Laborkonstellation betrifft etwa zehn bis 15 Prozent der Patienten mit Schilddrüsenkrebs. Wenn die Schilddrüse durch Operation und die Radiojod-Ablation vollständig beseitigt worden ist, können Thyreoglobulin-Antikörper nach mehreren Jahren auch völlig verschwinden. Bei Patienten mit Thyreoglobulin-Antikörpern entscheidet sich der Arzt ggf. eine wiederholte Jod-Ganzkörperszintigrafie durchzuführen, um die nötige diagnostische Sicherheit in der Nachsorge zu erhalten. Sobald die Thyreoglobulin-Antikörper verschwinden und der Tg-Spiegel nicht messbar erhöht ist, entfällt die Notwendigkeit einer erweiterten Bildgebung. In jedem Fall muss bei der Bestimmung des Tg-Wertes auch ein Wiederfindungstest im Labor stattfinden.

    Frage 14: Wie funktioniert die Nachsorge über eine Jod-131 Ganzkörperszintigrafie?

    Etwa sechs bis zwölf Monate nach der Ablation erstellt der Arzt in der Regel ein Ganzkörperszintigramm, um ganz sicher zu sein, dass alle Schilddrüsenzellen und Krebsherde zerstört wurden. Die Ganzkörperszintigrafie (Radiojod-Diagnostik) muss aufgrund rechtlicher Auflagen stationär stattfinden und ähnelt der Ablation. Der Unterschied: Die eingesetzten Radiojodmengen sind viel geringer.  Ziel ist es hier ein Bild zu erzeugen und kein Gewebe zu zerstören.  Mögliche noch bestehende Schilddrüsenrestzellen oder Krebszellen müssen auch hier jodhungrig gemacht werden. Das lässt sich durch eine künstlich herbeigeführte Schilddrüsenunterfunktion (Absetzen der Schilddrüsenhormone) oder durch die Gabe von rhTSH erreichen. In der Regel hilft der Einsatz von rhTSH starke Symptome bei einer Szintigraphie (als diagnostische Nachsorge Maßnahme) zu vermeiden. Eine kleine Menge Radiojod gelangt mittels einer Kapsel in den Körper. Zwei bis drei Tage nach der Einnahme der Kapsel fertigt eine Spezialkamera ein Bild (Ganzkörperszintigramm) an. Hierfür wird die weitreichende Gammakomponente des J-131 genutzt.

    Finden sich Stellen konzentrierter Strahlung, ist dies ein Zeichen für verbliebene aktive Schilddrüsenzellen oder für Absiedlungen des Schilddrüsenkarzinoms, der behandelnde Arzt kann dann ggf. weitere diagnostische Maßnahmen treffen. (1) Meistens ergibt sich bei der Jod-Ganzkörperszintigrafie ein günstiger Befund. Wenn unter rhTSH bzw. dem Hormonentzug zusätzlich der Tumormarker Thyreoglobulin niedrig bleibt (beispielsweise unter 1 ng/ml), können in der Regel alle weiteren diagnostischen Maßnahmen in der Nachsorge ambulant erfolgen. Damit verringert sich die Belastung vieler Patienten – körperlich wie seelisch – deutlich.

    Frage 15: Welche Möglichkeiten der medizinischen und psycho-onkologischen Rehabilitation gibt es?

    Bei der Nachsorge geht es nicht nur um medizinische Untersuchungen. Sie beinhaltet optimalerweise auch eine intensive Betreuung des Patienten, um die Krankheit zu verarbeiten und Probleme, die möglicherweise im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung auftreten, zu bewältigen. In den meisten Krankenhäusern gibt es einen Sozialdienst, der Unterstützung bietet und auch an entsprechende Institutionen weitervermitteln kann. Auch die Möglichkeit einer psychologischen Beratung ist in vielen Krankenhäusern gegeben. Für manche Patienten ist es darüber hinaus hilfreich, sich Unterstützung bei einer psychosozialen Beratungsstelle oder einer Selbsthilfegruppe zu holen. Der Sozialdienst weist Patienten auf das zuständige Versorgungsamt hin. Dies ist für die Feststellung einer Schwerbehinderung und für die Festlegung des Grades der Behinderung zuständig. Hiermit sind für den Patienten u.a. steuerliche Vergünstigungen verbunden. Bei einer Krebsdiagnose ist ein solcher Antrag in der Regel erfolgreich.

    Ob der Patient die Schwerbehinderung zusätzlich seinem Arbeitgeber mitteilen sollte, entscheidet sich individuell unter Abwägung aller Umstände. Besonders junge, in der Ausbildung befindliche Patienten sollten Aufklärung über mögliche langfristige Nachteile von „Vergünstigungen“ für Schwerbehinderte erhalten. Beispielsweise über Schwierigkeiten, eine neue oder andere Arbeitsstelle zu finden. Meistens läuft es darauf hinaus, dass die Feststellung einer Schwebehinderung, bei einem unkomplizierten Verlauf auf ca. fünf Jahre beträgt. Andere Möglichkeiten sind Rehabilitationen oder Kuren. Diesbezüglich ist die Krankenversicherung ein guter Ansprechpartner. Solche stationären Maßnahmen dauern drei bis vier Wochen und können wiederholt in Anspruch genommen werden. Bei der Terminfindung nehmen diese Standorte auf Patienten mit schulpflichtigen Kindern Rücksicht.

    Aus medizinischer Sicht sind Rehabilitationsmaßnahmen insbesondere bei vollständiger oder partieller Stimmbandlähmung, bei Bewegungseinschränkungen nach Halslymphknotenoperation oder bei psychosozialen Problemen sinnvoll. Bei psychischen Problemen ist zu beachten, dass die Heilungsaussichten bei Schilddrüsenkrebs wesentlich günstiger sind als bei anderen Krebsdiagnosen, dass aber während der stationären Rehabilitationsmaßnahme alle Krebspatienten mit den unterschiedlichsten Heilungsprognosen ein gemeinsames Angebot erhalten.

    Frage 16: Ist die Leistungsfähigkeit trotz Entfernung der Schilddrüse gegeben?

    Nach der Entfernung der Schilddrüse ist eine lebenslange Hormoneinnahme nötig. Das Gute: Ist der Patient optimal mit Hormonen eingestellt, erlangt er seine volle Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit zurück. Ein normales Leben ist möglich. Es besteht volle Arbeitsfähigkeit. Zu einer Rente – auch einer Rente auf Zeit – sollte nur dann geraten werden, wenn die Auswirkungen der Operation so erheblich sind, dass eine Tätigkeit in dem ausgeübten Beruf nicht mehr möglich ist oder eine die Leistungsfähigkeit beeinflussende Metastasierung vorliegt.

    Frage 17: Woher kommen Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Schilddrüsen-Hormontherapie?

    Nach der Ersttherapie bei Schilddrüsenkrebs (operative Entfernung und ablative Radiojodtherapie) ist eine Schilddrüsenhormon-Medikation nötig. Dabei dosiert der Arzt die Schilddrüsenhormone geringfügig höher als es dem ursprünglichen Bedarf des Körpers entspricht. Dies registriert die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) und schüttet weniger TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) aus. Das Wachstum von Krebszellen, die der Schilddrüse ähnlich sind, wird gebremst. Dieses Prinzip ist bekannt als Suppressionstherapie und stellt eine Hormonbehandlung des Schilddrüsenkrebses dar.

    Meistens gewöhnt sich der Patient innerhalb von zwei bis drei Wochen an diese neue Einstellung der Hormone. Bei einigen Patienten sind damit aber Nebenwirkungen wie Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Schwitzen, beschleunigter Herzschlag oder Diarrhoe (häufige Darmentleerung) verbunden. Die Dauer einer solchen Suppressionstherapie orientiert sich heutzutage am individuellen Risikoprofil (Tumorgröße, Lymphknotenbefall, vorhandene Metastasen).

    Zeigen die Radiojod-Diagnostik und der Thyreoglobulin-Spiegel unter einer Stimulation mit rekombinantem humanem TSH etwa sechs bis zwölf Monate nach der Ablation keine Krankheitsaktivität, so ist bei Patienten mit ursprünglich kleineren Tumoren ohne Metastasen die suppressive Einstellung der Schilddrüsenfunktion nicht länger erforderlich. Die Schilddrüsenhormon-Medikation wird dann ähnlich dosiert wie bei Patienten, die wegen einer gutartigen Schilddrüsenerkrankung operiert worden sind. Hinsichtlich des TSH-Spiegels gilt zur Einstellung ein Zielbereich zwischen 0,3–1,0 mU/l, maximal bis 2,0 mU/l. Für Patienten mit hohem Risikoprofil oder mit einem messbaren Thyreoglobulin-Spiegel wird eine suppressive Einstellung der Schilddrüsenfunktion für etwa 5 Jahre angestrebt. Der Nutzen einer solchen Einstellung ist durch Studien abgesichert. (1) Im Falle von Nebenwirkungen ist selbstverständlich individuell abzuwägen. Die suppressive Einstellung der Schilddrüsenfunktion über einen längeren Zeitraum kann zu einer Minderung der Knochendichte (Osteoporose) führen. Dies bedeutet aber noch nicht zwangsläufig eine erhöhte Gefahr für Knochenbrüche. Zur Prophylaxe kann als Basismaßnahme die Gabe von Vitamin D3 in Kombination mit Kalzium oder kalziumreichen Mineralwässern erfolgen. Wichtig ist eine ausreichende körperliche Aktivität.

    Frage 18: Nehme ich durch die Schilddrüsen-Tabletten an Gewicht zu?

    Die suppressive Einstellung der Schilddrüsenfunktion mit einer etwas höheren Dosierung des Schilddrüsenhormons steigert eher die Verbrennung von Kalorien im Körper (Grundumsatz). Andererseits erhöht eine Schilddrüsenhormon-Medikation den Appetit. In der Regel gleichen sich diese Effekte aus und es kommt weder zu einem Gewichtsverlust noch zu einer Gewichtszunahme.

    Frage 19: Was ist bei der Ernährung zu beachten?

    Der gewohnten Ernährung steht nichts im Wege. Es gibt aber zwei Besonderheiten: Ist eine Radiojod-Diagnostik oder eine Radiojodtherapie geplant, sollte über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen vor dieser Maßnahme auf eine jodarme Ernährung geachtet werden. Das heißt Verzicht auf Seefisch, Meeresprodukte und insbesondere Verzicht auf mögliche Jodzusätze in Multivitaminpräparaten oder Nahrungsergänzungsmitteln. Ist nach der Operation die Nebenwirkung einer Unterversorgung mit dem Neben-schilddrüsenhormon eingetreten, so ist bei einem starken Hormonmangel eine medikamentöse Behandlung notwendig (meist eine Kombination aus Kalzium und Vitamin D-Derivaten). Bei leichter Ausprägung der Nebenschilddrüsenunterfunktion können stark kalziumhaltige Mineralwässer guten Dienst leisten. Der Kalziumgehalt kann bei bis zu 600 mg pro Liter liegen. Molkereiprodukte (Käse, Quark) haben den Nachteil einer relativ hohen Kalorienzufuhr. Kalziumbrausetabletten können gelegentlich zu Magenbeschwerden führen, eine kompakte Kalziumtablette kann u.U. besser verträglich sein.

    Frage 20: Was muss ich im Falle einer Schwangerschaft beachten?

    Während einer Schwangerschaft verkürzen sich die Kontrollintervalle auf etwa vier bis sechs Wochen. Im Verlauf der Schwangerschaft erhöht sich der Hormonbedarf um durchschnittlich etwa 20-30%. Oft steigt der Hormonbedarf schon im ersten Schwangerschaftsdrittel. Die Dosissteigerung der Schilddrüsenhormon-Medikation richtet sich nach dem individuellen T3-, T4- und TSH-Spiegel. Zudem erfolgt eine Jodidzufuhr etwa ab der achten bis zehnten Schwangerschaftswoche. Dann entwickelt der Embryo eine Schilddrüse und ist auf den Baustein Jod angewiesen. Üblicherweise werden ca. 100 bis 150 μg Jodid pro Tag empfohlen. 

Quellen:

  1. Kasper Et Al., D. L. (2015). Harrisons Innere Medizin: Bd. Band 3 (19. Auflage). ABW Wissenschaftsverlag.

Letzte Aktualisierung: 05.10.2022