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L-Tyrosin bei Hashimoto-Thyreoiditis: Was ist dran?
Die Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis führt zu einer chronischen Entzündung der Schilddrüse und verursacht meist schleichend eine Schilddruesenunterfunktion (Hypothyreose). Das heißt, das schmetterlingsförmige Organ produziert nicht mehr genügend Schilddrüsenhormone, um den Bedarf des Körpers zu decken. Zu den Symptomen einer Unterfunktion gehören Müdigkeit, Gewichtszunahme, Kälteempfindlichkeit und Depressionen. Behandelt wird eine Hypothyreose in der Regel durch die Gabe des Schilddrüsenhormons L-Thyroxin (Levothyroxin). Doch manche Patientinnen und Patienten zeigen trotz Erreichen einer normalen Schilddrüsenstoffwechsellage weiterhin Symptome, möchten ihre Behandlung optimieren oder suchen nach Alternativen zur Einnahme von L-Thyroxin. Seit ein paar Jahren wird in Patientenkreisen verstärkt die Rolle von Nährstoffen für die Behandlung einer Hashimoto-Thyreoiditis diskutiert – insbesondere die von Tyrosin. Denn die Aminosäure spielt eine wichtige Funktion im Schilddrüsenstoffwechsel. Doch was erhoffen sich viele Betroffene, wenn sie Tyrosin einnehmen, und was sagt die Wissenschaft dazu?
Tyrosin – Baustein für zahlreiche Botenstoffe
Tyrosin ist eine sogenannte nicht-essenzielle Aminosäure. Der Körper muss sie also nicht über die Nahrung aufnehmen, sondern kann sie aus der Aminosäure Phenylalanin bilden. Tyrosin selbst stellt einen entscheidenden Baustein für die Bildung von Botenstoffen wie Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin sowie den Schilddrüsenhormonen (Thyroxin und Trijodthyronin) dar. Letztere werden hauptsächlich aus den Vorläufern Jod und Tyrosin gebildet. Aufgrund dieser Funktionen gilt Tyrosin als wichtige Aminosäure für die Aufrechterhaltung eines gesunden Stoffwechsels.
Die Theorie hinter dem Trend
Da Tyrosin für die Synthese der Schilddrüsenhormone benötigt wird, könnte ein Mangel theoretisch die Produktion der Hormone beeinträchtigen. Bei einer Hashimoto-Thyreoiditis kommt es allerdings aufgrund der Entzündung und der Schädigung des Schilddrüsengewebes langfristig zu einer verringerten Hormonproduktion. Darüber hinaus berichten die Patientinnen und Patienten häufig von erhöhtem Stress und emotionalen Herausforderungen. Neben dem vermeintlich positiven Einfluss auf den Schilddrüsenstoffwechsel könnte die Aminosäure als Baustein wichtiger Neurotransmitter wie Dopamin auch helfen, die Stressreaktion des Körpers zu regulieren und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern – so eine weitere Annahme in manchen Patientenkreisen.
Bisher keine wissenschaftlichen Beweise
Es ist bekannt, dass der Schilddrüsenstoffwechsel den Tyrosingehalt im Körper beeinflusst. Allerdings gibt es kaum gesichertes Wissen darüber, wie sich Tyrosin auf den Schilddrüsenstoffwechsel auswirkt. Alte Tiermodellstudien zeigen jedoch einen reduzierten Tyrosinspiegel in der Schilddrüse bei Ratten, die Futter mit Schilddrüsenhormonen und Tyrosin erhielten. Außerdem kann eine hohe Gabe von Tyrosin zu negativen Effekten wie Gewichtsverlust, Augenentzündung sowie Entzündungen der Bauchspeicheldrüse und Diabetes führen. Die gemeinsame Einnahme von Schilddrüsenhormonen und Tyrosin hat allerdings keine toxischen Effekte. Klinische Studien am Menschen gibt es dazu bislang nicht.
Bei Patientinnen und Patienten mit der Stoffwechselstörung „Phenylketonurie“ ist die enzymatische Umwandlung von Phenylalanin zu Tyrosin blockiert, wodurch dessen Plasmaspiegel erniedrigt sind. Bei den Betroffenen konnten jedoch keine Schilddrüsenstoffwechselstörungen nachgewiesen werden. Auch wurde nicht ausreichend untersucht, ob eine Einnahme von Tyrosin über einen längeren Zeitraum überhaupt die erhofften positiven Effekte bewirkt.
Keine Empfehlung zur ergänzenden Tyrosin-Einnahme
Somit bleiben noch Fragen zu diesem Thema offen: Warum sollte jemand, der bereits Schilddrüsenhormone einnimmt, noch zusätzlich deren Bausteine benötigen? Auf welchen wissenschaftlichen Arbeiten beruht eine solche Empfehlung? Welche Aussagekraft besitzen die gemessenen Tyrosinwerte und ist eine langfristige Einnahme von Tyrosin sicher?
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es nach dem bisherigen Kenntnisstand keine Grundlage für die Empfehlungen gibt, bei einer Hashimoto-Thyreoiditis zusätzlich Tyrosin zu konsumieren. Unabhängig hiervon kann aber vermutlich eine ausgewogene Ernährung, die reich an Tyrosin ist, dazu beitragen, den Bedarf des Körpers an dieser Aminosäure zu decken. Lebensmittel wie Fleisch, Fisch, Eier, Milchprodukte sowie Hülsenfrüchte und Nüsse sind gute Quellen für Tyrosin.
Autorin:
PD Dr. med. Beate Quadbeck
Endokrinologin, Düsseldorf
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Letzte Aktualisierung: 18.12.2024